Wasserstoff auf dem Prüfstand: Chancen & Risiken für Energieunternehmen

AutorIn: HyExperts Hagen
Datum: 06. November 2023
Wasserstoff Anlage

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Was kommt nach dem Erdgas? Wie gut sind die Verteilnetze auf Wasserstoff gerüstet? Und: Wie lässt sich die konkrete Umsetzung von Wasserstoff-Projekten befördern? In Teil 3 unserer Serie schauen wir mit Energieunternehmen in die Zukunft.
Das HyExperts-Projekt ist unmittelbar mit der Stadt Hagen und ihrer Region verknüpft. Doch ebenso tragend ist die Rolle der hiesigen Energieunternehmen. Schließlich haben sie ein besonderes Interesse, ausgangs des Gaszeitalters die Potenziale von Wasserstoff als möglichem neuen Geschäftsfeld genau auszuloten – und zeitnah zu nutzen.

Die mehrheitlich kommunale ENERVIE-Gruppe war sogar maßgeblich an der HyExperts-Bewerbung der Stadt beteiligt. „Grundlage war eine Machbarkeitsstudie unseres Energieversorgers Mark-E“, erzählt Dr. Arndt Bohrer, Leiter für regenerative Projekte bei der ENERVIE-Gruppe. Zu dieser gehören neben Mark-E auch die Stadtwerke Lüdenscheid sowie der Netzbetreiber ENERVIE Vernetzt. „In der Studie hatten wir einige gute Ideen entwickelt“, erzählt der Renewables-Experte weiter. „Also haben wir gemeinsam mit der Stadt Hagen deren Bewerbung für die zweite HyExperts-Runde – ein Förderprogramm für Gebietskörperschaften – ausgearbeitet.“

Der Startschuss ist nun gute zwölf Monate her, seitdem ist viel passiert. Für Dr. Bohrer ist HyExperts definitiv ein Vorzeigeprojekt, in dem Kommune und Energieversorger perfekt zusammenarbeiten. „Es ist eine Win-win-Situation. Wir unterstützen HyExperts mit Know-how und ziehen zugleich selbst Wissen aus dem Projekt“, erläutert der Fachmann. Und auch die Bevölkerung profitiere schließlich von ihrer Stadt, die im Rahmen des Projekts die eigenen Zukunftschancen genau analysiere und nutzen wolle.

Auf der Suche nach Großabnehmern

Der Rückblick auf die ersten zwölf Monate zeige aber auch, dass es insbesondere in der praktischen Umsetzung noch Luft nach oben gebe. „Wir hatten zu Beginn vor allem auf den Bereich Mobilität gesetzt. Da jedoch der ÖPNV batterieelektrische Busse bevorzugt und die in Hagen starke Branche der Spediteure kurzfristig noch nicht auf H2-Trucks umsteigen kann, gibt es im Moment noch keine Großabnehmer“, so Dr. Bohrer. Es sprächen zwar viele Erfolgsfaktoren für Hagen, etwa große Gasleitungen des Netzbetreibers OGE, die im Bereich Hagen verlaufen, sowie die gute verkehrstechnische Anbindung durch die A1 und A45, die zukünftig viel Transitverkehr und potenzielle H2-Tankkunden bringe. „Aber solange wir keine Abnahmegarantien haben, verzögert sich die Eröffnung unserer ersten Wasserstoff-Tankstelle. Dabei wäre das eine wichtige öffentlichkeitswirksame Initialzündung“, erläutert er. „Was wir jetzt mehr denn je brauchen, sind konkrete Projekte, sind Abnehmer. “

Auch bei ENERVIE Vernetzt, dem Netzbetreiber der ENERVIE-Gruppe, dreht sich seit zwei Jahren schon vieles um Wasserstoff. Bei dem Thema „H2-Readiness“ geht es zum Beispiel darum, die bestehende Infrastruktur so zu ertüchtigen, dass Wasserstoff und andere klimaneutrale Gase künftig durch die Leitungen des Gasverteilnetzes strömen können. „Wir haben dazu 2022 ein Pilotprojekt aufgelegt“, sagt Jürgen Peiler, Geschäftsführer des Unternehmens. „Dabei haben wir ein kleines Teilnetzgebiet von etwa drei Kilometern Länge und mit knapp 150 Netzanschlüssen untersucht.“ Die gute Nachricht: Das bestehende Gasverteilnetz sei grundsätzlich wasserstofftauglich. Lediglich bei der Anlagentechnik müssen einzelne Bauteile oder Komponenten ausgetauscht werden. „Aktuell sind wir dabei, die im Pilotprojekt gewonnenen Erkenntnisse auf das gesamte Gasverteilnetz zu übertragen. Bis zum Jahresende 2023 entwickeln wir eine Roadmap für die schrittweise Ertüchtigung des gesamten Gasverteilnetzes zur H2-Readiness“, erklärt der Netzexperte.

Die Zeit läuft

Doch Jürgen Peiler weiß, dass die Zeit drängt. Momentan sei immer noch schwer abschätzbar, wie sich die Transformation der Gasverteilnetze in Richtung Klimaneutralität gestaltet und welche Kundengruppen künftig mit Wasserstoff versorgt werden. Viele Gasnetzbetreiber wünschten sich im Hinblick auf die Rahmenbedingungen bei dem Markthochlauf von Wasserstoff mehr Planungssicherheit durch die Politik und vor allem ein schnelleres Handeln. „Es sind viele gute Ansätze in der Branche erkennbar“, sagt er. „Aber wir werden das Ziel der Klimaneutralität bis zum Jahre 2045 verfehlen, wenn das Ganze nicht schneller vonstattengeht.“

Szenenwechsel. Rund zwei Monate vor dem Beginn von HyExperts fiel der Startschuss für „Zukunft RuH2r“. Ziel des Projekts ist es seit Juli 2022, eine Wasserstoffinfrastruktur in der Scharnierregion Ruhrgebiet und Sauerland als sogenannten Nukleus und Best Practice entstehen zu lassen. Neben der ENERVIE-Gruppe und fünf anderen Partnern ist auch RWE maßgeblich beteiligt. Der Energiekonzern agiert weltweit, engagiert sich aber auch in Südwestfalen. Dort hofft er zum Beispiel mit Blick auf den „grünen Stahl“ auf starke Abnahmepotenziale beim Wasserstoff. Mit HyExperts stehe man im Austausch, doch als Großunternehmen folge man einem anderen Weg: „Wir sind an konkreten Projekten interessiert, die verbindliche Verträge und Investitionen nach sich ziehen“, erklärt Christoph Borst, Projektleiter seitens RWE für das Projekt „Zukunft RuH2r“. „Mit unseren Partnern in dieser Initiative arbeiten wir bereits sehr konstruktiv zusammen, das Commitment ist hoch.“ Grundlage ihres Wasserstoffprojekts seien drei wichtige Säulen, erläutert er: eine weitgehend gesicherte Abnehmerstruktur, ein Pipeline-Anschluss – so es sich nicht um eine sogenannte Onsite-Elektrolyse direkt vor Ort handelt – sowie der Elektrolyseur zur Erzeugung von grünem H2.

Genehmigungssituation beim Stromnetzausbau erschwert das Vorankommen

Und genau bei der Elektrolyse stellen sich diesem Projekt laut Christoph Borst Hindernisse in den Weg. Denn um Wasserstoff in größerem Umfang gewinnen zu können, wären der Ausbau des Stromnetzes und neue Umspannwerke nötig. Doch gestalteten sich die Genehmigungsverfahren dafür schwierig und langwierig, wie ihm der zuständige Stromnetzbetreiber erläutert habe. Unter Umständen bedeute das, dass der Elektrolyseur zunächst kleiner als geplant ausfallen müsse, so Borst.

Ein weiteres Hindernis betrifft die Wirtschaftlichkeit der Projekte: „Wasserstoffprojekte sind aktuell ohne Förderung noch nicht wirtschaftlich“, erläutert Christoph Borst. Entsprechend hart sei der Wettbewerb um Fördermittel, wobei sich die Antragstellung sehr aufwendig und komplex gestalte. Nicht nur RWE plädiert daher für mehr Pragmatismus bei den Förderinstrumenten.

Energieversorger bleiben optimistisch

Trotz dieser Herausforderungen steckt man in der Energiewirtschaft noch lange nicht auf. Im Gegenteil: Bei RWE ist man zuversichtlich, dass es vorangeht. Ein Beleg dafür ist das Flaggschiffprojekt GET-H2 im niedersächsischen Lingen. Dort haben die Behörden erst kürzlich die Errichtung und den Betrieb der ersten beiden 100-Megawatt (MW)-Elektrolyseure auf dem Gelände des RWE Erdgaskraftwerks Emsland in Lingen genehmigt.

Optimistisch zeigt sich auch die ENERVIE-Gruppe. „Unsere Ausgangslage ist weiterhin gut; das stimmt mich sehr positiv“, sagt Dr. Arndt Bohrer. „Auch mit den HyExperts werden wir bald erste Projektideen umsetzen.“ Und er wagt sogar einen Blick in die Zukunft: „Mein größter Wunsch ist, dass wir in zehn Jahren ein wichtiger Player für die Wasserstoffwirtschaft in der Region Südwestfalen sind.“

Wir informieren seit dem Frühjahr rund um das HyExperts-Programm in und für Hagen. In unserer vierten und letzten Ausgabe des Jahres werden wir darüber sprechen, welche Rolle die Akzeptanz seitens der Bürgerinnen und Bürger für die Umstellung auf Wasserstoff in der Region spielt. Bleiben Sie dran!